In Zeiten des Fachkräftemangels haben es vor allem Arbeitgeber schwer. Viele Stellen bleiben unbesetzt, weil einfach keine passenden Bewerber (m/w/d) zu finden sind.
Als Personalvermittler erlebt man allerdings immer wieder, dass Unternehmen zwar auf der einen Seite den Mangel an geeigneten Profilen beklagen, auf der anderen Seite aber starr an ihren in einer Stellenanzeige verankerten Vorstellungen festhalten.
Gleichfalls erleben wir Bewerber, die durch die Umstände am Arbeitsmarkt erwarten, dass ein neuer Job alle Wünsche und Ansprüche erfüllen und gleichzeitig selbstverständlich dem Privatleben ausreichend Platz lassen muss.
Nun ist es leider trotz der relativ gut laufenden Konjunktur so, dass gerade bei einem enger werdenden Angebot diese Mechanismen verstärkt werden. Denn aufgrund von geringeren Auswahlmöglichkeiten auf der einen und einer übernatürlich hohen Auswahlmöglichkeit auf der anderen Seite, entsteht häufig eine Pattsituation, in der sich beide Seiten wie Schlange und Kaninchen gegenüberstehen und sich im Ergebnis dann gar nicht bewegen. Diese Situation wird häufig als Fachkräftemangel wahrgenommen, ist aber eher ein Mangel an Entscheidungsfähigkeit, der erst zu einem Mangel an erfolgreichen Einstellungen führt.
Das ist schade und vor allem vermeidbar.
Unternehmen täten gut daran, würden sie erkennen, dass man besser ein knappes Angebot ausnutzt und testet, als Stellen monatelang unbesetzt zu lassen. Gleichzeitig muß man Menschen, die vielleicht schon seit Monaten einen neuen Job suchen raten, in jedem Fall zeitnah eine Beschäftigung aufzunehmen auch wenn diese vielleicht nicht zu 100 % den eigenen Vorstellungen entspricht. Denn Erfahrungen im Beruf und Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen bringen Erkenntnisse und wiederum Expertise, die man in keinem Weiterbildungsprogramm oder bei der reinen Jobsuche lernen kann. Zudem führt die Menge an Optionen oft zur Suche nach einer noch besseren Option, so dass letztlich keine Chance wahrgenommen wird, weil man Angst hat, etwas potentiell Besseres zu verpassen.
Insgesamt ist dieses Verhalten umso weniger verständlich, als das die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes längst nicht mehr automatisch als Belastung angesehen wird. Gerade Berufseinsteiger erwarten heutzutage oft gar keine Lebensanstellung sondern sind froh darüber, wenn sie nach einer gewissen Zeit den Job wechseln und neue Eindrücke sammeln können.
Warum sollten also Unternehmen vor überqualifizierten Bewerbern zurückschrecken oder nicht auch Menschen mit Sprachbarrieren, einer umfangreichen Berufserfahrung oder Lücken im Lebenslauf eine Chance geben? Das unverbindliche Ausprobieren hat längst viele Bereiche der neuen „Share Economy“ erreicht und beschreibt ein Lebensgefühl, das sich deutlich von den festen Strukturen und rechtlichen Grundlagen des Arbeitsmarktes unterscheidet.
Wie gesagt sieht die Realität anders aus. Noch immer werden Stellenanzeigen überfrachtet, wird aus Angst vor der DSGVO oder dem AGG zu wenig Klartext gesprochen und sich eben generell zu selten getraut, eine Stellenbesetzung tatsächlich vorzunehmen und die Entwicklung dann abzuwarten.
Auf Bewerberseite sieht es leider zumindest in diesem Problemkreis nicht besser aus. Zu oft schreckt ein Stellenanzeigentext ab und eine Bewerbung wird unterlassen, anstatt es einfach drauf ankommen zu lassen. Natürlich kann ein Bewerber anhand seiner Unterlagen und einer Stellenanzeige nur grob abschätzen, ob sein Profil Gefallen findet oder nicht. Aber andererseits kann er auch nicht im Vorfeld erkennen, wie der Empfänger einer Bewerbung diese bewertet und dann entscheidet. Auch andere Möglichkeiten innerhalb des ausschreibenden Unternehmens können Personalabteilungen nur dann abschätzen, wenn sie eine Bewerbung tatsächlich bekommen haben.
Was sollte man also tun?
Unternehmen müssten sich selbst zunächst hinterfragen, ob eine freie Position tatsächlich besetzt werden soll oder nicht. Dann könnte im nächsten Schritt hierfür ein Zeitfenster definiert werden, bis zu welchem eine Besetzung zwingend erfolgen muss. So wird der Druck auf den Auswahlprozess erhöht und es findet dann im Ergebnis auch eine tatsächliche Entscheidung und Auswahl statt. Hierbei hat dann unter Umständen auch ein Bewerber (m/w/d) eine Chance, der ansonsten nicht zum Zuge gekommen wäre.
Für Unternehmen würde diese Vorgehensweise eine etwas weitere Auslegung der eigenen Auswahlkriterien bedeuten. Gleichzeitig eröffneten sich hierdurch vielleicht Potentiale, die bei einer monatelangen Nichtbesetzung nicht eintreten dürften. Sollte sich die Besetzung dann immer noch nicht realisieren lassen oder aber die Versuche mehrfach scheitern, müsste man an den Anfang des Rekrutierungsprozesses zurückkehren und noch mal mit größtmöglicher Offenheit erarbeiten, wie es um die Stellenbesetzung im konkreten Fall steht. Also wie lautet die „Candidate Persona“ für die zu besetzende Position? Ist die Ausgestaltung und Gesamteinschätzung überhaupt realistisch und mit den am Arbeitsmarkt vorhandenen Ressourcen umsetzbar?
Häufig wird diese Offenheit dazu führen, dass eine Besetzung unter den vom Unternehmen vorgenommenen Einschätzungen gar nicht möglich ist. Somit wäre es dann an der Zeit, die Ansprüche runter zu schrauben und mit den Bewerbungen zu arbeiten, die auch tatsächlich vorliegen.
Anders formuliert ist der gestiegene Rekrutierungsaufwand auch ein Spiegelbild des „Onboarding“ Aufwands, denn eine leichtere Stellenbesetzung aufgrund von reduzierten Anforderungen an die Bewerber kann dazu führen, dass sowohl der Einarbeitungsaufwand als auch der Qualifizierungsaufwand steigen. Gleichzeitig erhält man so aber überhaupt eine Arbeitskraft, die zudem im Sinne des Unternehmens eingearbeitet und ausgebildet werden kann. Als Nebeneffekt könnte man durch die investierte Zeit idealerweise eine erhöhte Loyalität erwarten.
Die Bewerberseite hat es im Moment naturgemäß zwar leichter. Hier ist aber mehr Mut gefragt. Wenn eine freie Stelle grundsätzlich passt, sollte eine Bewerbung erfolgen. Die Auswahl trifft dann das Unternehmen. Letztlich ist es gerade bei Vorliegen von wie auch immer gearteten sog. Vermittlungshemmnissen unabdingbar, eine nennenswerte Anzahl an versendeten Bewerbungen zu erzielen. Daran hat sich nichts geändert sei den Zeiten des genau umgekehrten Arbeitsmarktes, als es eher zu wenige Jobs gab. Denn auch aktuell sind viele Stellen unbesetzt und auch heute muss man sich bemühen, will man eine halbwegs passende Anstellung in annehmbarer Zeit erzielen. Diese grundlegenden Zusammenhänge werden durch die Vielzahl von Möglichkeiten in Form überbordender Jobangebote leicht übersehen, was dann zu Frust bei der Suche nach einer neuen Stelle führen kann gerade wenn der sog. Fachkräftemangel in aller Munde ist.
Im Ergebnis bleiben die Herausforderungen am Arbeitsmarkt trotz eines Beschäftigungsrekords hoch – gerade deshalb sollten es sich alle Beteiligten aber auch nicht unnötig selbst schwer machen und mit Mut zur Entscheidung freie Stellen besetzen oder sich auf neue Aufgaben einlassen.
Vielleicht erweist sich der Fachkräftemangel dann im Nachhinein als doch nicht so gravierend wie bisher angenommen?