Herr Dr. Eifler hat hier vor einigen Wochen die Frage diskutiert, ob ein durch den Personaldienstleister erstelltes Standard-Profil oder ein individueller Lebenslauf bevorzugt werden sollte. Diesen Gedanken möchte ich aufnehmen und weiterführen, da der Bewerber im Bewerbungsprozess dabei vor einem Dilemma steht.
Das grundsätzliche Dilemma lautet: Standardisierung vs. Individualisierung. Beides sind unbestritten wesentliche Trends und Entwicklungen in den Bewerbungsprozessen der letzten Jahre.
Nur: Diese beiden Trends sind konträr!
Trend 1: Standardisierung / Digitalisierung
Die Digitalisierung schreitet schon seit vielen Jahren kontinuierlich fort. Um die internen Bewerbungsprozesse zu vereinfachen, versuchen Arbeitgeber, eingehende Bewerbungen immer weiter zu standardisieren. Ziele sind die Verringerung der Durchlaufzeiten, eine bessere Vergleichbarkeit / Objektivität und Effizienz im internen Prozess. Mittel der Wahl sind meist Online-Bewerbungsportale mit Bewerbungsformularen, in denen die Daten durch den Bewerber eingetragen werden. Aus Sicht der Unternehmen ist der Wunsch nach Effizienz richtig und nachvollziehbar.
Trend 2: Individualisierung
Die Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer seine ganze Berufslaufbahn in maximal 2 – 3 Unternehmen oder sogar nur in einem Unternehmen verbracht hat, sind unwiderruflich vorbei. Jobwechsel, Erfahrung in verschiedenen Branchen, Karriere als Quereinsteiger oder berufliche Auszeiten sind nicht nur üblich, sondern beruflich durchaus förderlich und durch potentielle Arbeitgeber gewünscht. Auch die immense und weiter zunehmende Vielfalt an Ausbildungswegen führt zu immer individuelleren Lebensläufen: duale Studiengänge, Auslandsstudium, berufsbegleitende Ausbildungen, etc., die Vielfalt ist kaum überschaubar.
Die Herausforderung:
Wie bekommt man die immer individuelleren Lebensläufe adäquat in Online-Bewerbungsportale, die immer weniger Raum für eben diese Individualität bieten? Wohin mit dem Work & Travel Jahr in Australien? Oder den 10 Monaten Auszeit wegen Pflege eines Angehörigen?
Haben die klassischen Bewerbungsunterlagen ausgedient?
Nein! Tatsächlich arbeitet eine Mehrheit der Unternehmen weiterhin mit E-Mail Bewerbungen, sprich individuellen Unterlagen. Der Anteil der Unternehmen, die ausschließlich Bewerbungen über das Online-System akzeptieren, steigt zwar stetig. Trotzdem bieten die meisten Online-Portale die Möglichkeit, individuelle Bewerbungsunterlagen anzufügen. Aber: Werden diese im ersten Auswahlschritt überhaupt gelesen oder erstmal nur die Eintragungen im Online-Tool? Dann wird es für Bewerber mit einem außergewöhnlichen Lebenslauf schwierig.
Umso wichtiger ist es, die Online Portale sorgfältig auszufüllen und die relevanten Stichworte einzufügen. Das bedeutet z.B. bei einer speziellen Ausbildung, eventuell noch im Ausland, nicht nur den erlangten Original-Titel anzugeben, sondern eine passende, frei übersetzte Variante, so dass auf einen Blick erkennbar ist, was der Kern dieser Ausbildung ist. Oder Auslandaufenthalte in die vorgesehenen Kategorien für Berufserfahrung oder Ausbildung einzuordnen, damit keine Lücken entstehen.
Ein Ausweg?
Das Dilemma Standardisierung vs. Individualisierung trifft nicht nur Bewerber, sondern beide Seiten gleichermaßen. Während Bewerber in den Portalen Schwierigkeiten haben, ihre Skills und Erfahrungen adäquat zu präsentieren, ist auch Arbeitgebern durchaus bewusst, dass Ihnen durch strikte Auswahltools eventuell Talente durch die Lappen gehen können. Arbeitgeber wie Google & Co. arbeiten aktuell an Algorithmen, die diese Herausforderungen lösen und die Vorauswahl übernehmen sollen. Dann werden wir uns mit der Suchmaschinenoptimierung von Lebensläufen beschäftigen müssen.
Heute kann eine Lösung auch der Einsatz von Personaldienstleistern sein. Diese leisten wesentliche Teile der Vorauswahl und des Bewerbermanagements und halten dadurch den Prozess für die Arbeitgeber schlank. Gleichzeitig können sie das Potential von Bewerbern mit ungewöhnlichen Lebensläufen erkennen und den Arbeitgebern darlegen, so dass alle Beteiligten im Prozess profitieren.
Quo vadis, digitale Bewerbungen? Wir dürfen gespannt sein…
Unsere Gastautorin Dagmar Gumnior, Diplom-Kauffrau, Betriebspsychologin (IHK) und Vollblut-Personalerin mit mehr als 15 Jahren Erfahrung im Personalbereich, ist heute als Expertin für Bewerbungsunterlagen und Arbeitszeugnisse tätig (www.personal-text.de). Sie hat in der Zeit alle erdenklichen HR-Themenfelder kennengelernt und wird unregelmäßig hier im hanfried Blog Einblicke in Trends unserer Branche geben.